Liebe Leserinnen und Leser,
Haben Sie einen Spiegel zu Hause? Und wenn ja – seltsame Frage, ich weiß. In Fast jedem Badezimmer hängt ein Spiegel – nützlich und praktisch. Also, Sie haben einen Spiegel zu Hause und dieser Spiegel zeigt Ihnen manchmal ziemlich klar Sie selbst. Spiegel sind aber nicht immer nur Glasplatten sondern manchmal auch Geschichten, so Spiegelgeschichten, die mehr über uns erzählen als uns manchmal lieb ist, manchmal sind das auch so dreigeteilte Spiegelgeschichten, so dass wir – wie früher an alten Badezimmerspiegelschränken, die Perspektive wechseln können, aber immer noch uns im Spiegel sehen. Eine der bekanntesten Spiegelgeschichten der Bibel ist für mich die Geschichte vom verlorenen Sohn im Lukasevangelium Kapitel 15.
Da hat ein Vater zwei Söhne, der eine träumt von der weiten Welt und will das Leben auf dem Hof seines Vaters verlassen. Er fordert sein Erbe und macht sich auf den Weg in die Welt. Der andere bleibt zu Hause beim Vater, führt den Hof führt, widmet sein Leben dem Erbteil zuhause. Der eine Sohn macht sich auf den Weg in die Welt und lebt gut vom Erbe – irgendwann ist es nur alle. Er sucht Halt und Sicherheit, bis er nichts mehr hat und kehrt geschlagen und gezeichnet zurück. Sein Vater nimmt ihn mit Freuden auf, kleidet ihn, feiert ein Fest. Und der Sohn, der zuhause ist, der wird wütend, so richtig polternd.
Wo ist der Spiegel? Vielleicht sehen Sie sich im Sohn der die Weite sucht, der sich aufmacht, der was erleben will, der diese Welt aufsaugen will, der weiß, dass hinter dem Horizont des Feldes noch weit aus mehr ist als in seinem Geburtshaus. Ich kenne dieses Spiegelbild – und es ist deshalb so ein guter Spiegel, weil er ganz unverstellt zeigt, was diese Sehnsucht eben auch heißt.
Gibt’s noch einen anderen Spiegel? Ich sehe noch den Vater, der, der zuhause bleibt, seinem Kind den Wunsch erfüllt, es in Freiheit ziehen lässt und mit Trauer und Sorge und vielleicht auch einer Portion Stolz auf den Mut seines Kindes zurück bleibt. Auch dieses Spiegelbild kenne ich – und es ist eben deshalb so ein guter Spiegel, weil er ganz unverstellt zeigt, was dieses Loslassen eben heißt.
Und dann, dann ist da noch, manchmal etwas zur Seite geschoben, der Spiegel, den wir auch gut kennen: Der Sohn, der zuhause blieb, der sich aufopfert und dann wütend und enttäuscht ist und sicher keine Freude empfindet und Gerechtigkeit. Auch dieses Spiegelbild kenne ich über mich – und es ist bittergenau.
So bleibt diese Geschichte vom Verlorenen Sohn ein Spiegel über Menschliches, Allzumenschliches. Alle Gefühlsschattierungen dieser Geschichte, all diese sind menschlich. Und Gott? Wurde diese Geschichte nicht immer so gelesen, dass Gott wie der Vater in der Geschichte ist? Ja, und auch diese Lesart hat ihr Recht – für mich persönlich liegt etwas besonderes aber in der Frage, wer uns diese Geschichte erzählt: Und das ist Jesus, oder auch Gott selbst. Und Jesus hält uns so einen Spiegel vor, mit all dem was uns auf dieser Welt ausmacht, was wir in uns tragen, an Sorgen, an Träumen, an Missmut, an Freude, an Gerechtigkeitssinn, an Verlust. Und der Spiegel, der vor mir steht, der mich spiegelt, der wirft es erstmal an mich zurück, aber er ist gegenüber, Gegenüber, dem ich dann auch ansprechen kann – und Perspektiven wechseln kann, auf meiner Suche in dieser Welt.
Wir wünschen Ihnen ein wundervolles Wochenende – zwischen Suchen und Finden, Fußball und Sommerstunden – und vielleicht sehen wir uns ja in Niederdorfelden zum Gottesdienst mit Taufe und Abendmahl,
Herzliche Grüße
Ihr Pfarrer*innen
Maraike Heymann und Tobias Heymann