Liebe Leserinnen und Leser,

Manchmal ist es ein kleines Wort, das einer ganzen Geschichte eine neue Bedeutung mitgeben kann. Zu Beginn der Adventszeit beschäftigt uns genau solch ein kleines Wort, ein Wort in der Geschichte vom Palmsonntag, in der Geschichte wie Jesus in Jerusalem ankommt. Diese Geschichte steht im Advent symbolisch dafür wie Gott in die Welt kommt. Da ist Jesus nach langen Wanderungen, immer neuen Predigten und ungezählten Wundern endlich in den Bergen rund um Jerusalem angekommen und lässt sich von seinen Jünger*innen einen Esel besorgen. Alles soll so sein, wie im ersten Testament angekündigt (oder zumindest so, wie es in manchen Halbsätzen gelesen werden kann). Jesus reitet auf diesem Esel in die große Stadt Jerusalem und Menschen* feiern Jesus mit Palmzweigen und Hosianna-Rufen. Die Bewohner*innen der Stadt, die schauen verwundert auf das, was dort geschieht. Am Ende fragen sie: „wer ist das?“ Die Antwort lautet: Jesus aus Nazareth, der Prophet. (Nachzulesen im Matthäusevangelium 21)

Das kleine Wort, was hier so vieles verändert ist das Wort, welches diejenigen beschreibt, die Jesus feiern, Jesus als orientalischen König huldigen, der aber auf einem Esel daher reitet (über den Esel als Last- und Friedenstier statt eines Pferdes, als Kriegs- und Paradetier könnten wir auch reden, heute aber nicht). Also zurück zu den Menschen, die Jesus bejubeln. Das Wort im griechischen Text hat viele Bedeutungen und alle bieten einen spannenden, aber teils sehr verschiedenen Blick auf die Geschichte. Zunächst wird es tatsächlich in den meisten Bibelübersetzungen mit Volk übersetzt, da lesen und hören wir natürlich unweigerlich sofort eine große Anzahl von Menschen hinein, da denken wir „Mehrheit“ und eigentlich alle. Dies wird dann nur von der Feststellung in der Geschichte in Frage gestellt, dass die Menschen in der Großstadt Jerusalem nicht so recht wussten, was da vor dem Stadttor gerade passiert, dabei sind sie ja genauso teil des Volkes. Tatsächlich hat das Wort im griechischen Text erstmal andere Bedeutungen als Volk, nämlich erstmal nur „unbestimmte Menge Menschen“, und schon klingt die Geschichte ganz anders: Eine große Menge (also bei weitem nicht alle, vielleicht auch nur eine laute Gruppe, aber keine Mehrheit!), feiert da diesen Propheten Jesus. Die Mehrheit, die meisten Menschen, die vielleicht am Stadttor ihrem Alltag nachgingen waren von dem was dort geschah eher verwundert, begegneten dem vielleicht mit Unverständnis, sie fragen ja auch: Wer ist das? Damit steht in dieser Geschichte Jesus gar nicht mehr als der gefeierte Superstar im Zentrum. Es wirkt eher wie ein seltsamer Versuch Aufmerksamkeit zu erlangen.

Und dann gibt es noch eine wichtige Bedeutung des Wortes: Pöbel. Ein abfälliges Wort für die, die in einer Gesellschaft nichts zählen, die die nicht der wohlhabenden Norm entsprechen. Also nicht das Volk, nicht die große Menge sondern der Pöbel feierte Jesus. Also diejenigen, die in der Antiken Großstadt keine Machtposition, keine wirtschaftlichen Möglichkeiten hatten – sie waren vielleicht Ungebildete vom Land, sie waren Sklavinnen und Menschen, die aus dem Ausland geflohen waren und unter unwürdigen Bedingungen leben mussten. Es waren Verbrecher, es waren die Letzten der Gesellschaft.

Manchmal ist es ein kleines Wort, was die Geschichte verändert. Jede Bedeutung gibt der Geschichte von Jesu Ankunft in Jerusalem, von Gottes Erscheinen in der Welt eine besondere Note. Unsere Aufgabe heute ist es zu entscheiden, was uns in dieser Geschichte heute mit unseren Erfahrungen, mit unserer Gesellschaft Hoffnung gibt.

Jede Art die Geschichte zu lesen schenkt Hoffnung, weil Gott in diese Welt kommt und jede Art diese Geschichte zu lesen verwandelt unsere Welt heute schon. Was ist es für Sie? Wie gehen Sie in diese Adventszeit? Welche Türen machen Sie auf?

Wir freuen uns auf die Zeit mit Ihnen, auf die Vorbereitungen für Gottes Ankunft in der Welt,

Herzliche Grüße
Ihre Pfarrer*innen
Maraike Heymann
Tovja Heymann