Liebe Leserinnen und Leser,
Die Erinnerung an die Menschen, die wir verloren haben, kann viele verschiedene Formen annehmen. Die Kaffeetasse, die mir meine Mutter aus dem Urlaub mitgebracht hat, hat seit ihrem Tod eine neue Bedeutung für mich. Die Kerze, die neben dem Bild meiner Großeltern steht, ist, wenn sie brennt, mehr als ein Stimmungslicht im Raum. Die Floskel, die ich unversehens benutze, habe ich doch von meinem Opa, oder? Manche Menschen pflegen ihre Erinnerung, indem sie das Grab besuchen. Andere suchen Orte auf, die dem oder der Verstorbenen etwas bedeutet haben. Und wieder andere feiern miteinander fröhlich Weihnachten und wissen: Genauso hätte die Oma das gewollt.
Eine Sache eint all diese unterschiedlichen Arten sich zu erinnern: Dabei wird nicht nur etwas Vergangenes wie eine Vokabel ins Gedächtnis gerufen, sondern im Hier und Jetzt passiert etwas. Es ist meine Hand, die von der Kaffeetasse gewärmt wird, genauso wie die meiner Mutter. Das Licht neben dem Rahmen lässt die Gesichter im Bild heller leuchten, macht sie geradezu lebendig. Es ist meine Alltagssprache, in die sich mein Opa mischt – auch wenn ich vielleicht etwas ganz anderes zu sagen habe als er. Am Grab lege ich welke Blätter beiseite und ich höre, ob heute ein Vogel singt. Das Ausflugsziel ist kein Ort stiller Andacht, sondern vom Geklapper von Geschirr erfüllt. Und Weihnachten wird es Jahr für Jahr nicht in der Wiederholung, sondern indem Vertrautes und Aktuelles ineinander greifen.
Aber auch unsere menschliche Erinnerung ist endlich. Man sagt, nach drei Generation versiegt die mündliche Überlieferung. Und manchmal geht es noch schneller: Da hatte jemand keine Kinder und Enkel und Enkelinnen. Oder jemand hat sich mit der Familie zerstritten. Und es gibt auch Erfahrungen mit Menschen, bei denen es sich heilsam anfühlt, wenn “Gras darüber wächst”, wenn “Zeit ins Land geht.”
Am Totensonntag erinnern wir in den Kirchen an die Menschen aus unserer Gemeinde, die innerhalb des letzten Jahres verstorben sind und von denen wir uns verabschiedet haben. Es tut gut, Erinnerung zu pflegen. Nicht nur privat, sondern auch in größerem Rahmen. Und es tut auch gut, wenn wir uns daran erinnern, dass unsere Erinnerung nicht “ausreichen” oder “genügen” muss, sondern dass wir auf Gottes Erinnerung setzen.
Für die Propheten und Prophetinnen in unserer Bibel ist die Erinnerung Gottes kein trübes, aufgewärmtes “Es war einmal…” Sondern nichts weniger als Rettung, Heilung, Schöpfung. Bei Gottes Erinnerung handelt es sich um ein kraftvolles, wirksames Unterfangen! Eben auch hier Erinnerung, die nicht Vergangenes konserviert, sondern als Gegenwart lebendig ist. Christinnen und Christen vertrauen darauf, dass Gott sich an uns und an die, die uns etwas bedeutet haben, erinnert. Und das bedeutet: Gott schenkt Leben über den Tod hinaus.
Vielleicht sehen wir uns am Sonntag in Niederdorfelden oder Gronau, um ein wenig Erinnerung in der Gegenwart aufleben zu lassen. Und auch wenn nicht, denken wir an Sie und wünschen wir Ihnen in diesen Novembertagen Zeit für Erinnerungen an die Menschen, die Ihnen lieb und teuer waren – oder sind.
Herzliche Grüße
Ihre Pfarrer*innen
Maraike Heymann & Tovja Heymann
24.11.2024 – Totensonntag in unseren Gemeinden
Gottesdienst mit Pfarrerin Dr. Maraike Heymann
Wir entzünden Lichter und denken an die Verstorbenen. Hinterher gibt es bei Tee und Kaffee Gelegenheit zum Austausch.
10h Kirche Niederdorfelden
15h Kirche Gronau