Liebe Leserinnen und Leser,

Kennen Sie Jona? Eine grandiose Geschichte, die Erzählung eines Berufspropheten, der an seinem Auftrag scheitert, der erstmal abhaut vor Gottes Auftrag: Der Stadt Ninive wegen des Unrechts das Ende zu verkünden. Hauptsächlich geht es dabei um Jona, der so menschlich gezeichnet wird: Er hat nämlich riesige Angst davor. Wie soll er das bitte können, wie soll er bitte schön der großen Metropole, den ganzen gelehrten, klugen, reichen Menschen sagen, dass sie Falsches tun? Also versteckt er sich auf einem Boot, wird gejagt vom Sturm Gottes, wird vom Seeungeheuer verschlungen, sitzt drei Tage in dessen Bauch im tiefen Meer. Wird an Land gespien – und geht schließlich nach Ninive. Erinnert Sie das an was? Tauchgänge in engen U-Booten, Stürme auf vollen Schiffen, ungerechte Welt?

Zurück zu Jona. Der geht dann nach Ninive, predigt Umkehr und Buße, verkündet den Untergang: ‚Ihr seid die Letzten, ihr seid die Letzten, die noch was machen können – 40 Tage bleiben euch noch bis zu den Kipppunkten.‘ Und dann – dann kehren sie um. Tatsächlich. Jona baut sich einen Garten. Darin lässt Gott einen Baum, der Schatten spendet, wachsen, und Jona wartet auf den Untergang, das große Gericht. Und dann passiert – nichts. Bloß der Baum geht kaputt, verdorrt und die Sonne brennt auf Jona nieder. Da streitet Jona mit Gott: ‚Wieso lässt du dieses Bäumchen sterben? Warum lässt du Ninive verschont? Warum warum warum?‘

Warum? Ich frag mich das schon lange. Und die Geschichte Jonas wird zu einem bitteren Spiegel unserer Zeit. Wie oft habe ich Angst das zu sagen, was Not wäre? Lächle hinweg, über Rassismus, über Plattitüden gegen meinen Glauben, bloß weil ich keine Kraft habe für zermürbende Diskussionen. Wie oft schau ich weg, wenn es um viele geht, die ertrinken – ja, auch ich lese mehr Artikel über die verzweifelten Rettungsversuche des Expeditionsbootes mit 5 Millionären an Bord als über die kaum aushaltbaren Berichte der Toten im Mittelmeer. Wie Jona – der mehr über den toten Baum klagt als über die vielen Opfer, die der Untergang Ninives gekostet hätte. Ich bin ertappt von diesem Spiegel, ich bin beschämt. Und auf einmal sitz ich in der unbarmherzigen Sonne neben Jona, neben dem vertrockneten Baum und höre Gottes Frage:

„11Und jetzt frage ich dich:
Sollte Ninive mir nicht leidtun –
eine große Stadt mit mehr als 120.000 Menschen?
Sie alle wissen nicht, was links und was rechts ist
Dazu kommen noch die vielen Tiere.
Sollte es mir da nicht leidtun?«?“ (Jona 4,10-11 Fassung der Basisbibel)

Ja, so ein Spiegel ist unbarmherzig. Aber vielleicht der erste Schritt auf einem neuen Weg? Auf Gottes Weg? Auf einem Weg, der mutig ist, klar Ungerechtigkeit benennt, der versöhnt, Veränderung zulässt und vor allem eines hat: Liebe zum Leben. Das wünschen wir uns und Ihnen,

Herzlich,
Ihre Pfarrer*innen Maraike Heymann und Tobias Heymann