Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen, zu Besuch in der Jugendwerksatt Hanau

„Ich führe auf der politischen Ebene Gespräche. In Zusammenarbeit mit den Landeskirchen setze ich mich für mehr Gerechtigkeit im Bildungsbereich ein. Ich finde es großartig, dass wir heute ins Gespräch kommen.“, stellte sich Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen, den sechs Jugendlichen am Tisch vor. „Wo drückt euch der Schuh? Was gäbe es aus eurer Sicht für Wünsche? Was würde eure Situation besser machen?“ Die jungen Erwachsenen, die zurzeit mit Unterstützung der Jugendwerkstatt Hanau e. V. Betriebspraktika durchlaufen oder sich auf einen Ausbildungsplatz bewerben, müssen nicht lange überlegen. „Das Praktikum soll besser bezahlt werden.“, sagte eine junge Frau. „Die Fahrt mit dem Bus sollte kostenlos sein.“ – „Mehr Aufmerksamkeit. Bessere Schulen. Mehr Hilfe, einen Ausbildungsplatz zu finden. Ich habe nur Absagen bekommen.“
Carsten Tag informierte sich Anfang März gemeinsam mit Eckhard Lieberknecht über die Arbeit der Jugendwerkstatt Hanau e. V. Geschäftsführer Torsten Reinhardt stellte Profil und Aufgabenbereiche des Vereins vor, der dem Landesverband Diakonie Hessen angehört und in einigen Arbeitsgruppen aktiv ist. Am regen Austausch mit Carsten Tag beteiligten sich sechs Jugendliche, die durch die Jugendwerkstatt auf verschiedene Weise unterstützt werden, deren pädagogische Betreuer Petra Mumme und Jürgen Schwarz sowie Margarete Petersein und Claudia Brinkmann-Weiß als Vorsitzende des Vereins sowie stellvertretende Dekanin Ines Fetzer für den Kirchenkreis Hanau.

Carsten Tag sagte, er habe die Einladung nach Hanau zu einem persönlichen Gespräch sehr gerne angenommen. Unter dem Motto „Diakonie on Tour“ besuche er regelmäßig die Mitgliedseinrichtungen der Diakonie Hessen. Es sei ihm wichtig, praktische Eindrücke zu gewinnen, neue Erkenntnisse mitzunehmen und diese in seine Arbeit einfließen zu lassen. Der Vorstandsvorsitzende verwies dabei auf die aktuelle Broschüre „Unerhört. Sozial. Hessen.“, die – als Reaktion auf den Sozialbericht des Landes – Positionen der Diakonie Hessen zusammenfasst. Die Vorschläge verstehen sich im Hinblick auf die Landtagswahl 2023 als Diskussionsgrundlage mit der Landespolitik. Sie sind ein Beitrag zur „sozial gerechten Ausgestaltung der notwendigen ökologischen Transformation der Gesellschaft“. Unter anderem sind Bildungschancen, Abbau von Benachteiligungen und die Unterstützung von Jugendlichen im Übergang Schule-Beruf grundlegende und zukunftsweisende Themen.

Die beiden Einrichtungen Jugendwerkstatt Hanau e. V. und „Pilot“ – evangelische Fachstelle Jugendberufshilfe – richten sich mit ihren Angeboten insbesondere an Jugendliche, die das derzeitige Beruf- und Ausbildungssystem benachteiligt oder ausschließt. Torsten Reinhardt gab einen kurzen Überblick über Zahlen und Fakten. Zurzeit beraten und unterstützen 18 Mitarbeitende Jugendliche in der Region Main-Kinzig. Sie bieten unter anderem Berufswegeplanung an Schulen und Jugendzentren, sie begleiten Schulklassen und beraten in Seminaren und Kursen die Jugendlichen individuell. Im Übergang Schule – Beruf werden die Jugendlichen bei der Berufswahl, der Suche nach einem Praktikum bzw. einem Ausbildungsplatz persönlich unterstützt. Hohe Professionalität, langjährige Kooperationen mit Einrichtungen, Unternehmen und Schulen und die Entwicklung von Netzwerken sind entscheidende Faktoren für eine erfolgreiche Arbeit. Seit 1985 besteht beispielsweise eine enge Zusammenarbeit mit der Martin-Luther-Stiftung im Bereich der Altenhilfepflege und Altenpflege. Pilot und Jugendwerkstatt kooperieren eng mit zwei beruflichen Schulen und Gesamtschulen. Im Auftrag der Stadt Hanau beraten die Mitarbeitenden als „hanauer joblotsen“ im Jugendzentrum Hans Böckler. „Wir sind da, wo die Jugendlichen sind“, beschreibt Petersein die Haltung der Einrichtungen. Jugendliche können sich jederzeit und unkompliziert an die Mitarbeitenden wenden.

Die stellvertretende Vorsitzende des Vereins und ehemalige Dekanin des Kirchenkreises Hanau, Claudia Brinkmann-Weiß sagte, sie kenne die Einrichtung seit 2002 und schätze sie außerordentlich. Sie habe das diakonische Profil, getragen von der Wertschätzung des Einzelnen und von Nächstenliebe bewahrt und sich dennoch am Markt behauptet. Pilot und Jugendwerkstatt agierten flexibel und hoch professionell. Der Output sei enorm. „Es ist mir ein großes Anliegen, die kleinen Einrichtungen im Blick zu behalten.“
Die Diskussion mit Carsten Tag entfaltete sich im Wesentlichen an den Punkten Finanzierung der Einrichtungen, Nachsteuerung im Bildungsbereich und Vorbereitung auf die Ausbildung. Die vergleichsweise gute Gehaltsstruktur und Bezahlung nach Tariflohn führten zu einem Dilemma. Einerseits sei man als Arbeitgeber attraktiv, – auf die letzte Stellenzeigen seien 50 Bewerbungen eingegangen, andererseits stehe man im Wettbewerb mit anderen Anbietern. „Wir wären gerne Ausgaben finanziert.“, appellierte Margarete Petersein. Sie stimmte mit Torsten Reinhardt darin überein, dass sich durch die Pandemie die Situation für viele Schülerinnen und Schüler weiter verschlechtert habe. Es gab kaum Praktika in Betrieben. „Dies hat insbesondere unsere Zielgruppe getroffen.“, sagte Reinhardt. Auch habe das Bildungsniveau gelitten, hier sei eine Nachsteuerung unbedingt erforderlich. Eine Fortbildung im Bereich Digitalisierung habe man zugunsten von Basiswissen und Sprachkursen zurückgestellt.

„Das war ein wichtiger und sehr informativer Besuch. Ich bin beeindruckt von der Vielfalt, der Kompetenz und dem Engagement der Menschen in der Jugendwerkstatt. Ich habe viele Erfolgsgeschichten gehört, wie Jugendliche durch die Qualifizierungs-, Bildungs- und außerschulischen Angebote gefördert werden. Es ist wichtig, dass wir allen Jugendlichen eine Chance für den Arbeitsmarkt geben können. Zugleich ist es ein wichtiger Schritt, um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen. Ein herzliches Dankeschön an alle, die hier so viel bewegen“, sagte Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen, zum Abschluss.
Die Jugendlichen, die ebenfalls „bessere Schulen“ einforderten, sind inzwischen einen Schritt weiter. Drei haben nach einem einjährigen Praktikum einen Ausbildungsvertrag unterschrieben: Sie wollen Verkäuferin, Altenpflegerin und Rechtsanwaltsgehilfin werden. Eine junge Frau steht noch ganz am Anfang ihrer Suche, sie ist erst vor zwei Wochen neu zur Jugendwerkstatt gestoßen.