Hiobsbotschaften sind Neuigkeiten, die man niemandem wünscht. Dabei geht es nicht um Missgeschicke oder ärgerliche Entwicklungen, sondern um Ereignisse, die uns im Kern unserer Selbst treffen, eine schlimme medizinische Diagnose oder ein plötzlicher Todesfall im Kreise der Menschen, die wir lieben. Der Hiob im Alten Testament ist ein frommer, gesegneter Mann: Seine erwachsenen Kinder gedeihen, sein Besitz wächst und er erfreut sich bester Gesundheit. Mit einem Schlag ist aber plötzlich alles zunichte geworden. Rinder und Esel werden bei einem Überfall geraubt und die Knechte erschlagen. Feuer vom Himmel vertilgt die Schafherden. Und als die Kinder Hiobs beisammen sind, hält das Haus bei einem Sturm nicht stand und fällt über ihnen zusammen. Niemand überlebt.
Hiob ringt mit dem Leid und noch mehr mit seinem Schöpfer – wer sollte ihn sonst so geschlagen haben?! Das Hiobbuch ist dick, Seite um Seite beraten sich Hiob und seine Freunde. Die meinen: Hiob muss etwas sehr Böses getan haben, dass ihm das alles zustößt. Aber als Leserin wird mir immer klarer: Hiobs Leid lässt sich nicht dadurch erklären, dass er etwas Bestimmtes getan oder gelassen hat. Not und Schmerz und Angst sind nicht gerecht verteilt – und damit umzugehen fällt schwer, ist eigentlich unmöglich.
Hiob fragt nach Gott, will ihn zur Rede stellen. Übersetzt man den Namen Hiob ins Deutsche, so erhält man genau die Frage, die Hiob stellt. Denn Hiob bedeutet: Wo ist der Vater? – Wo ist Gott, wo ist unser Vater, wo ist der Schöpfer, wo ist der, der auf uns aufpassen soll, wo ist der, an wir uns halten können? – Das Besondere am langen Buch von Hiob ist, dass er nicht aufhört zu fragen. Hiob ist wütend, enttäuscht, wirft Gott dessen Ungerechtigkeit vor, aber: Er kehrt ihm nie den Rücken. Er sagt nicht: „Es gibt keinen Vater!“, sondern bleibt beständig bei: „Wo ist der Vater?“
Es ist nicht selbstverständlich, an diesem kräftezehrenden Rufen nach Gott dranzubleiben. Am Ende des Buches kommt es tatsächlich zu einer Begegnung zwischen Hiob und Gott. Hiob steht beschämt da vor der Größe und der Macht Gottes, aber Gott sagt zu ihm: Mein Knecht Hiob hat recht geredet über mich, seine Freunde aber nicht (vgl. Hi 42,8). Was für eine Aufwertung des Fragens und Suchens!
Hiobsbotschaften wünschen wir niemanden – aber vielleicht gelingt es ja hin und wieder die Botschaft von Hiob zu teilen und die Frage: Wo ist der Vater? zu stellen. In schwierigen und belastenden Situationen im Leben kann es helfen zu fragen, zu klagen und auch zu schimpfen. Die Geschichte von Hiob zeigt: Das dürfen wir.
Am Mittwoch hat die Fastenzeit oder Passionszeit begonnen: Das sind die Wochen vor Ostern, in denen das Kreuz immer näher rückt und die Angst und der Schmerz Jesu in den Worten gipfelt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34) Es gibt Situationen im Leben, in denen es am ehrlichsten ist, die Geschichte Jesu hier anzuhalten und die Auferstehung nicht vorwegzunehmen.
Natürlich muss die Passionszeit nicht die Zeit der Gottverlassenheit sein – solche Erfahrungen kennen keinen liturgischen Kalender, sondern brechen in unser Leben ein, wann es ihnen passt. Aber die Passionszeit kann zu einer Zeit werden, in der Menschen sensibler auf sich und ihre Mitwelt schauen. Einigen gelingt das, indem sie sich bewusster ernähren oder auf etwas Liebgewonnenes verzichten. Andere lassen sich von dem jährlich wechselnden Motto, unter dem die Evangelische Kirche die Passionszeit stellt, inspirieren. Und so kann es passieren, dass mit geschärften Sinnen und einem liebevollen Blick auf die Welt, auch die ein oder andere Antwort auf die Hiob-Frage: Wo ist der Vater? gefunden wird.
Aus welcher Perspektive Sie auch immer gerade fragen und suchen, überlegen und beobachten – wir wünschen Ihnen, dass Sie dabei nicht alleine bleiben, dass Sie dranbleiben und dass andere für Sie weitersuchen, wenn es selbst zum Fragen zu dunkel um Sie wird.
Oder andersherum: Vielleicht sind Sie es ja auch, die für andere weiterfragen und suchen nach Lebensmut, nach der Liebe und nach Gott. Dann sind Sie es, die für andere leuchten – entsprechend dem aktuellen Motto der Fastenaktion, das 2023 lautet: Leuchten – Sieben Wochen ohne Verzagtheit.
Herzliche Grüße! Ihre Pfarrer*innen
Maraike Heymann und Tobias Heymann