Wann haben Sie das letzte Mal mit ihrem Steuersachbearbeiter im Finanzamt zusammen gesessen? Also mit dem Menschen, der Ihnen die Steuerrückzahlung entweder bewilligt oder doch eine Nachforderung ins Haus geschickt hat? Ich hatte diese Gelegenheit noch nicht – auch wenn ich die eine gerne nach dem Steuerbescheid auf eine Tasse Kaffee eingeladen und der anderen gerne mal die Meinung gegeigt hätte. Jesus hingegen hatte diese Gelegenheit. Lukas berichtet in einer kurzen Notiz davon, wie er sich mit Zöllnern, Finanzbeamten an einen Tisch setzt:
Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm. Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern. Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? Als das Jesus hörte, sprach er: Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken. Geht aber hin und lernt, was das heißt (Hos 6,6): »Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.« Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder. (Lk 9,9-13)
Ein spontaner Impuls: Ja genau! Endlich mal mit diesen ganzen *** aus dem Finanzamt zusammensitzen und denen die Meinung geigen, wie sie uns alle schröpfen. Das wäre was. Oder ich stelle mir vor, wie Jesus einfach mal dankbar den kleinen, redlichen und fleißigen Beamt*innen was ausschenkt, die uns ordentliche Rückzahlungen beschert haben. Wäre auch was. Wenn Jesus den einen die Leviten liest, die anderen belohnt, ist er ein richtender Jesus oder ein ein liebender Jesus. Eine einfache Rechnung.
Aber passiert das eigentlich so in dieser Geschichte? Schau ich genau, sitzt Jesus ja einfach nur zusammen mit den Zöllnern, die als Sünder galten, weil es sich um diejenigen handelte, die mit der Besatzungsmacht Rom zusammenarbeiteten, indem sie beim Gemeinwesen ihre Arbeit taten. Jesus kommt mit zu ihnen nach Hause, hört sich an, wie das Leben so ist, wie es den Kindern und Eltern geht, welche Sorgen auf der Seele brennen, worüber gelacht wird und worüber geweint wird. Ich weiß nicht, ob Jesus hier irgendwann fordert: „Zahl’ Geld zurück!“, oder ob Jesus irgendwann lobt: „Wie gut, dass du von der armen Witwe nicht so viel verlangt hast!“ Jesus teilt Alltag, sitzt am Familientisch, hört zu, vielleicht gibt er auf die ein oder andere Frage auch seine Antwort, einen Vorschlag – das wissen wir aus dieser Geschichte nicht. Also doch keine einfache Rechnung, eher das Leben in seiner Fülle.
Überliefert ist nur dieser eine Ausspruch – zu wem Jesus spricht, bleibt offen: zu den kritischen Pharisäern, seinen Jüngern, seinen Gastgebern? „Die Gesunden brauchen keinen Arzt – die Kranken aber schon.“ Dieses Bild geht mir nach: Jesus versteht sich als Arzt – und sollte ein guter Arzt erstmal urteilen, bevor er behandelt? „Aha, Sie sind also erkältet? Waren Sie nicht richtig angezogen? Grippeschutzimpfung versäumt?“ Oder: „Das Bein ist gebrochen. Was sind Sie denn auch bei dem Wetter Fahrrad gefahren?“ Was für ein unangenehmer Arzt. Ein guter Arzt nimmt sich Zeit, hört zu, hilft – und ist eben kein Richter. Und eigentlich ist diese Vorstellung von Jesus noch viel spannender als meine Fantasie, was ich dem Menschen vom Finanzamt gerne mal sagen würde. Jesus lobt nicht, Jesus rügt nicht – Jesus teilt Zeit, mit denen, die ihn brauchen – und dass sie es brauchen, daran lassen die abschätzigen Kommentare und Fragen von außen keinen Zweifel.
Bräuchte ich das eigentlich auch? Oder bin ich im Moment eher eine Person, deren Zeit von anderen gebraucht wird?
Wir wünschen Ihnen ein gesegnetes Wochenende und eine gute Woche! Herzliche Einladung zur Trubelkirche im Gemeindehaus Gronau am 5.12. (16h) und zum Gottesdienst in der Kirche Niederdorfelden am 12.2. (10h)!
Ihre Pfarrer*Innen
Maraike und Tobias Heymann