Spannend, anschaulich und lohnend waren die Einblicke, die Pfarrer Dr. Manuel Goldmann zu „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ seinen zahlreichen Zuschauern an den heimischen Computern geboten hat. Der Beauftragte der Landeskirche für christlich-jüdische Begegnung präsentierte seinen reich bebilderten Vortrag im Rahmen der Bildungsreihe „Interreligiöse Themen“ des Evangelischen Forums Hanau. Mit den Kapiteln jüdische Identitätsanker, Kirche und Synagoge, sozialgeschichtliche Grundfaktoren und jüdisches Leben in Frankfurt und Hanau sowie einem kurzen Ausblick gab Goldmann einen Überblick zu den wichtigen historischen Ereignissen, die prägend waren für die Identität jüdischer Gemeinden jenseits der Alpen. Gleichzeitig zeigte Goldmann, wie reich, wie vielfältig und vielgestaltig jüdisches Leben war und ist – und wie tief es in unserer Kultur verankert ist.
Das Edikt von Kaiser Konstantin aus dem Jahr 321, das es jüdischen Bürgern in Köln ermöglicht, städtische Ämter wahrzunehmen, lässt zwei Rückschlüsse zu. Es müssen sich in der Stadt bereits wohlhabende jüdische Familien etabliert haben. Und sie durften bis dato nicht in den Stadtrat berufen werden. Die Geschichte der Juden nördlich der Alpen geht sicher viel weiter zurück, denn mit der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 waren Juden in alle Himmelsrichtungen geflohen.
Jüdische Identitätsanker
Als Kind einer jüdischen Mutter, – so die klassische Definition, – wird man in die Gemeinschaft hineingeboren und aufgenommen. Im Leben der Juden spielt „das Ringen um das Verstehen der hebräischen Bibel“ die zentrale Rolle. Aus der Bibel lernen bedeutet zu tun, zu verstehen, neu zu lernen. Die Juden haben den Schabbat eingeführt, einen freien Tag für alle. Erst viel später übernahmen die Christen mit dem freien Sonntag diese Wocheneinteilung.
Im jüdischen Kalender sind Feste wie Pessach oder Schawuot fest verankert und bilden die Basis, um auch schweren Zeiten standzuhalten. Denn Juden wurden oft verfolgt, ermordet und sie durften sich nur in bestimmten Vierteln ansiedeln.
Erst im 10. Jahrhundert, als die Akademien in Worms, Mainz und Speyer gegründet wurden, sind wieder Quellen überliefert. Über weite Entfernungen tauschten sich jüdische Gelehrte mit den östlichen Zentren aus. In dieser Zeit entstand das berühmte Schlüsselwerk zur Auslegung der Bibel von Rabbiner Raschi (1040 – 1105). Seine Kommentare werden bis heute gedruckt und gelesen.
Pogrome, Judenverfolgung und Gräuelmärchen
Allerdings musste Raschi auch erleben, wie mit den Kreuzzügen ein Blutbad unter den Juden angerichtet wurde und die Tradition der jüdischen Akademien beendet war.
Dass die Christen als Reichskirche zu Macht und Einfluss gekommen waren, war der Horror für die jüdischen Gemeinden. Aus Habgier oder Frömmelei wurde gemordet. Viele Juden, denen die Zwangstaufe drohte, brachten sich vorher um. Die Juden waren die Sündenböcke für alles Mögliche, Verschwörungstheorien entstanden. Juden wurden immer wieder Brunnenvergiftung, Ritualmorde oder Hostienschändung vorgeworfen. Sie mussten sich an eine Kleiderordnung halten und wurden in ihrer Berufsausübung beschränkt.
Die Pogrome haben ein tiefes Trauma in der jüdischen Gemeinschaft hinterlassen, das sich auch in der Schriftauslegung widerspiegelt. Und die Furcht lebt weiter.
Die Pest in Europa wütete auch in den jüdischen Gemeinden, aber diese waren immer wieder Opfer von Hass, Gewalt und Verfolgung.
Paradigmenwechsel und Emanzipation
Mit Moses Mendelssohn (1729 – 1786), später mit Abraham Geiger (1810 – 1874) und Samson Raphael Hirsch (1808 – 188) begann die Emanzipation der jüdischen Gemeinden. Die Bindung an die Gemeinschaft löste sich, allgemeine Menschenrechte und Menschenwürde waren ein zentrales Thema der Zeit, das Bildungssystem wandelte sich, und auch Juden hatten im beruflichen Alltag mehr Möglichkeiten.
Rassismus im 19. Jahrhundert ist Wegbereiter des Holocaust
Im 19. Jahrhundert allerdings wurde auch eine andere Ideologie vorbereitet: Ein rassistischer Begriff des Judentums, der auch bei theologischen Gelehrten auf fruchtbaren Boden fiel. Dieser Rassismus führte letztlich auch zum Holocaust. Diesem Morden fielen sechs Millionen Juden zum Opfer, die Jüdische Gemeinde Hanau beispielsweise, die 1603 gegründet worden war, wurde 1938 ausgelöscht und erst 2005 wieder neu belebt.
Sozialgeschichtliche Grundfaktoren
Für jüdische Identität und jüdisches Leben waren einige Faktoren maßgebend. Dazu zählen die Bildung, ein kosmopolitischer Horizont, die jüdische Lebensweise, die Konkurrenz zur Kirche und schließlich die ökonomische Rolle der Juden in der Gesellschaft.
So lernten Juden beispielsweise Hebräisch, um die Bibel lesen oder verstehen zu können. Sie tauschten sich über Landesgrenzen hinweg aus, hielten internationale Kontakte und trieben Handel. So hatten sie bis zu den Kreuzzügen eine starke Position und wurden auch deshalb immer wieder angegriffen. Die jüdische Lebensweise unterscheidet sich und wird nicht vorbehaltlos akzeptiert. Schließlich findet sich das Judentum in Konkurrenz zur Kirche wieder, die das lange als Beunruhigung und Kränkung empfand. Dietrich Bonhoeffer zählt zu den Christen, die gegen den primitiven Abwehrreflex eine andere Sichtweise forderten.
Schließlich ist der Verbindung der Juden zum Geld genauer zu betrachten. Denn in den Städten des Mittelalters war es nur wohlhabenden Juden erlaubt, sich anzusiedeln. Im Umkehrschluss bekam die Stadtgesellschaft arme Juden überhaupt nicht zu Gesicht. Die sogenannten „Kaiserknechte“ standen unter dem Schutz des Kaisers. Denn unter dem Dogma des Zinsverbots waren gerade die Juden wichtig für die frühkapitalistische Wirtschaft.
Jüdische Gemeinden in Frankfurt und Hanau
In Frankfurt ist 1074 eine jüdische Gemeinde urkundlich belegt, Synagoge und Dom standen sich gegenüber. 1241 und noch einmal 1349 wurden Juden ermordet oder zur Taufe gezwungen, die jüdische Gemeinde ausgelöscht. 1360 gründete sie sich neu, von 1460 bis 1746 lebten die Familien in der Judengasse, am Ende waren dort 3000 eingepfercht. Doch 1848 wurde der Oberlandesgerichtsrat und Jude Gabriel Riesser im Parlament der Paulskirche zum Vizepräsidenten gewählt, ein Beispiel für die enorme politische Beteiligung von Juden.
In Hanau wurde 1349 im Zuge der Pestpogrome die jüdische Gemeinde vernichtet. Erst 1603 siedelten sich wieder Juden in Hanau an und lebten bis 1811 in der Judengasse. Ein Originalzitat des 11-jährigen Moritz Daniel Oppenheim (1800 – 1882) machte die Situation an den Toren anschaulich. Der Junge steckte nur den Kopf hinaus.
Die Streiflichter durch das jüdische Leben in Deutschland, die Manuel Goldmann aufgezeigt hat, sie verlangen geradezu nach einer Fortsetzung. Dieser Ansicht war auch die Leiterin des Evangelischen Forums Hanau, Pfarrerin Dr. Elisabeth Krause-Vilmar. An spannenden Themen sollte es auch nach dem Jubiläumsjahr „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ nicht fehlen.