Sonntagsgruß für den 11. Sonntag nach Trinitatis, 15. August 2021

„Not lehrt beten“, sagen viele, weil das eine Erfahrung ist, die Menschen schon immer gemacht haben. Wenn es einem schlecht geht, wendet man sich an eine höhere Macht, von der man Hilfe und Trost erhofft. Und man kann auch in unseren Zeiten beobachten, dass die Kirchen voll sind, wenn es eine Not zu beklagen gibt, ob einen Terroranschlag, einen Krieg oder eine Katastrophe.

Es gibt aber auch ganz persönliche Nöte, die einen zum Beten bringen. Wenn ein lieber Mensch gestorben ist, Wenn man eine Enttäuschung im Berufs- oder Privatleben zu verkraften hat, oder wenn man Unrecht getan und eine Schuld auf sich geladen hat, die auf der Seele lastet, all das sind Momente, in denen wir um Trost, Beistand und Hilfe bitten. Viele wenden sich gerade dann im Gebet an Gott.

Und schließlich gibt es noch eine dritte Form des Betens: das gemeinsame Gebet, das Gemeinschaft und Verbundenheit stiftet. Üblicherweise spricht man das im Gottesdienst, und die bekannteste und verbreitetste Form ist das Vaterunser. Gerade dieses Gebet, das auf Jesus selbst zurückgeht, verbindet alle Christinnen und Christen weltweit und ist auf diese Weise Zeichen dafür, dass die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen lebt.

In allen diesen Fällen geht es beim Beten aber um sein persönliches Verhältnis zu Gott. Denn auch wenn ich für den Frieden in der Welt bete, so ist es mein Gebet, mein Wunsch, den ich Gott vorbringe, auch wenn ich das gemeinsam mit anderen tue. Und auch das Vaterunser ist mein Gebet, mit dem ich mich in die Gemeinschaft der Kirche hineinbegebe.

Das hat zur Folge, dass ich alle diese Gebete auch für mich alleine, in meiner privaten Umgebung sprechen kann. Ich kann mich im Gebet mit Gott verbinden, egal ob ich in der Kirche bin oder alleine zu Hause.

Jesus hat sogar gesagt, dass man eigentlich immer lieber im Privaten beten soll. Jedenfalls dann, wenn man es ernst meint. Er hat dazu ein Beispiel erzählt von einem Pharisäer und einem Zöllner. Der Pharisäer betet in der Öffentlichkeit und versucht, bei Gott in gutem Licht zu erscheinen, indem er sich brüstet, alle religiösen Verpflichtungen zu erfüllen. Der Zöllner jedoch fühlt sich schuldig und gibt sich reumütig. Er betet in einer stillen Ecke und bittet Gott darum, dass er ihm seine Sünden vergibt. Für Jesus ist das die eigentliche Form des Betens: Einsicht, Reue, persönliche Hinwendung an Gott. Das für andere sichtbare Gebet des Pharisäers ist demgegenüber geprägt von Selbstlob, Arroganz und dem Versuch, Gottes Wohlwollen zu erheischen. (Lukas 18,9-14)

Im Gottesdienst zu beten ist also gut, richtig und hilfreich, wenn man es ernst meint und es nicht darauf anlegt, bei anderen als besonders fromm zu erscheinen. Aber wenn man ein tiefes Anliegen vor Gott bringen möchte, dann ist es in der eigenen Privatsphäre, im Zwiegespräch mit Gott besser aufgehoben.

Einen gesegneten Sonntag wünscht Ihnen
Ihr Pfarrer Michael Ebersohn