Im Mittelpunkt der 3. Hanauer Gespräche am 19.06. stand das Thema Solidarität mit Opfern rechter und rassistischer Gewalt. Vor dem offenen Dialog und Austausch gaben Anja Zeller (Leiterin Stabsstelle Nachhaltiges Hanau), Nasli Malek (Opferberatung response Hessen) und Soziologin Hannah Zimmermann, Projektleitung ‚Offener Prozess‘ bei ASA-FF e.V. aus Chemnitz kurze Impulsreferate. Die Online-Veranstaltung moderierte Pfarrerin Ute Engel.

Ganz aktuell konnte Anja Zeller von der ‚Sternfahrt für Hanau‘ berichten, die an diesem Samstagvormittag stattgefunden hatte. Unter dem Motto „Stern für Hanau“ hatten sich ca. 700 Radfahrer auf sieben angemeldeten Routen aus dem ganzen Rhein-Main-Gebiet auf den Weg nach Hanau gemacht. Sie bekundeten bei der Abschlusskundgebung auf dem Freiheitsplatz ihre Solidarität mit den Angehörigen der Opfer des Mordanschlags vom 19. Februar 2020. Über das Radfahren Solidarität zu bekunden zu können, das sei sehr gut angenommen worden, so Anja Zeller, die von Frankfurt nach Hanau geradelt war. Die kurzen eindrucksvollen Reden der Mütter und Väter machten deutlich, dass die zentralen Forderungen der Initiative 19. Februar aktueller denn je seien.

Wie wichtig es ist, dass die Familien der Getöteten nicht allein sind, erläuterte Nasli Malek von response Hessen. Response ist eine Beratungsstelle, die sich auf Opfer von rechter und rassistischer Gewalt spezialisiert hat. In der Opferberatung habe sich ein Paradigmenwechsel vollzogen, so Malek, die Sichtbarmachung der Opferperspektive stehe an erster Stelle. Der Verband der Beratungsstellungen veröffentlicht unter @rechte Gewalt rechte und rassistische Angriffe, response Hessen führt ebenfalls eine Chronik, um das Ausmaß rechter und rassistischer Gewalt sichtbar zu machen. „Wir betreiben mit der Website ein unabhängiges Monitoring, wir sind jedoch in unserer Arbeit parteilich. Wir ergreifen Partei für die Betroffenen. Sie bestimmen, was sie brauchen.“ Ziel ist es, die Opfer von Gewalt bei der Bewältigung der Folgen zu unterstützen.

Solidarität und Unterstützung sei in der Trauerarbeit und Bearbeitung der Traumafolgen „superwichtig“, so Malek. Fehle diese, sprächen Experten von sekundärer Viktimisierung. Betroffene würden durch die Tat erneut Opfer, wenn sie kein Gehör fänden, sich Ermittlungen der Behörden gegen sie wendeten oder die Taten als Einzelfälle benannt würden. Diese Reaktionen aus dem Umfeld seien oft noch schwieriger und schmerzhafter als die Tat selbst, da sich Betroffenen von Gewalttaten erneut verletzt, entmachtet und hilflos fühlten.

Die Bedeutung von Beratung gerade im Hinblick auf sekundäre Viktimisierung konnte Hannah Zimmermann bestätigen. Der ASA-FF e.V. (FreundInnen- und Förderkreis Arbeits- und Studienaufenthalte (ASA) in Afrika, Asien und Lateinamerika (ASA-FF) e. V.) „versteht sich als Plattform für aktuelle Diskurse rund ums Globale Lernen. Die über 160 Mitglieder des ASA-FF sind über den Globus verstreut und in unterschiedlichsten Führungspositionen & Branchen tätig – Wirtschaft, Forschung, Kultur, Nichtregierungsorganisationen, Verwaltung und internationale Organisationen.“ (https://www.tolerantes-sachsen.de/asa-ff-e-v)

Im November 2016, fünf Jahre nach der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU), wurde das Theatertreffen „Unentdeckte Nachbarn“ in Chemnitz und Zwickau organisiert. Hierzu heißt es auf der Website: „Das Projekt ‚Unentdeckte Nachbarn‘ zielte darauf, die Kontinuitäten des NSU-Unterstützungsumfeldes sichtbar und die Betroffenenstimmen hörbar zu machen. Es vernetzte kommunale, regionale und bundesweite Erinnerungsinitiativen an den Schnittstellen zwischen Kultur, Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Zielstellung war die Eröffnung kreativer Handlungsräume zur kritischen Begleitung der Aufarbeitungsprozesse auf juristischer, parlamentarischer, institutioneller und kultureller Ebene in Sachsen.“ (https://www.tolerantes-sachsen.de/asa-ff-e-v)

13 Jahre lang, so Hannah Zimmermann, habe man die Augen verschlossen. Wenn Opfer auf ein rassistisches Tatmotiv hinwiesen, seien diese Aussagen nicht aufgenommen worden. Der Verein ASA-FF e. V. will die Menschen sichtbar machen. Aktuell ist im Stadtmuseum Jena und digital die Ausstellung „Offener Prozess“ zu sehen. „Sie nimmt dabei die Ost-Deutsche Realität insbesondere in Sachsen zum Ausgangspunkt, um eine Geschichte des NSU-Komplexes zu erzählen, die von den Migrationsgeschichten der Vertragsarbeiter:innen und den Kontinuitäten rechter und rassistischer Gewalt und des Widerstandes dagegen ausgeht. Mit dem Ansatz eines „lebendigen Erinnerns” rückt sie marginalisierte Perspektiven in den Mittelpunkt. Dabei werden konkrete Ausformungen wie rechtsterroristische Gewalt, Alltagsrassismus und institutioneller Rassismus in ihren Wechselwirkungen beleuchtet. Ebenfalls werden die Verbindungen zu anderen Formen der Gewalt gegen bestimmte als fremd markierte Personen, wie etwa Antisemitismus, in den Blick genommen.“ (https://www.kunstsammlung-jena.de/de//898018)

In kleinen Gesprächsrunden und im offenen Dialog wurde darüber gesprochen, warum es zum Teil schwerfalle, sich mit den Opfern zu solidarisieren und ihre Perspektive einzunehmen. Inzwischen habe sich die Berichterstattung in diesem Punkt zum Positiven verändert, so Hannah Zimmermann. Lange habe man darum kämpfen müssen, dass die Namen richtig geschrieben würden. Bei der Urteilsverkündung im NSU-Prozess seien die Namen der ermordeten Menschen nicht einmal erwähnt worden. Die Zivilgesellschaft müsse den Focus stärker auf die Opfer legen.

Auf der individuellen Ebene wolle niemand gerne Opfer sein. Es falle schwer und koste Kraft, mit Betroffenen von rassistischer Gewalt in Kontakt zu kommen. Dennoch sei gerade dieser Beistand sehr wichtig, meist entdecke man viel Gemeinsames. Breiten Raum nahm die Frage ein, wie man den unterschiedlichen Familien des Anschlags in Hanau gerecht werden könne. Ein ‚zur Seite stellen‘ bedeute jedenfalls bereits Empowerment: Gehört und gesehen werden und füreinander einstehen, Beistand erfahren, so könne Empowerment aussehen.