Liebe Gemeinde,
ich bin Pfarrerin Johanna Ruppert aus Kilianstädten und Oberdorfelden und vertrete an diesem Sonntag Pfarrerin Krause-Vilmar beim Sonntagsgruß. Ich freue mich, Sie auf diesem Weg heute auch einmal mit meinen Worten grüßen zu dürfen:

„Wer singt, lebt gesünder“. Das ist längst wissenschaftlich erwiesen. Untersuchungen haben ergeben, dass Singen die Abwehrkräfte steigert. Auch Psychologen bestätigen das: In der Stimme spiegelt sich unsere seelische Verfassung wider. Es gibt für jede Gemütslage ein Lied: Ob wir uns freuen, dankbar sind oder trauern – Singen befreit und hebt die Stimmung.

Heute, am Sonntag Kantate, steht die Musik im Mittelpunkt. Und es ist gut, dass es diesen Sonntag in der Kirche gibt. Denn die Musik, sie kann viel tiefer dringen, als das die Worte eines Predigers je könnten. Musik, so hat Victor Hugo gesagt, Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber es unmöglich ist, zu schweigen.

Wohin sollte sie also besser passen als in die Gotteshäuser, wo seit Jahrhunderten versucht wird, das Unglaubliche, das eigentlich Unfassbare in Worte zu fassen? Gott erlöst die Menschheit, indem er selbst Mensch wird und wie einer von uns stirbt. Nicht umsonst hat diese Botschaft die ganz großen Komponisten immer wieder zu Höchstleistungen inspiriert.

Nun ist es ja nun zu meinem großen Bedauern schon lange so, dass wir nicht mehr singen dürfen in unseren Gottesdiensten. In der letzten Woche habe ich meine Andacht einmal persönlich in meiner Gemeinde an den Haustüren vorbeigebracht und dabei viele schöne Gespräche geführt. Eins davon drehte sich ums Singen. Und da hat ein ganz treues Gemeindemitglied mir ein Versprechen abgerungen, das mir leichtfallen wird, einzuhalten. „Wenn das alles vorbei ist und wir im Gottesdienst wieder ganz normal singen dürfen, dann wünsche ich mir alle Strophen von „Ich singe dir mit Herz und Mund“, weil wir Gott dann aus vollem Hals in großer Dankbarkeit singen müssen, dass wir wieder zusammen singen dürfen.“ Es sind 18 Strophen, liebe Gemeinde. Aber wir werden das machen.

Das ist jetzt sein und auch mein Hoffnungsbild. Ja, wir werden irgendwann wieder zusammenkommen und ja, wir werden irgendwann gemeinsam aus voller Kehle dieses Lied singen.

Es gibt ein Wort von Peter Kuzmic, das dieses Hoffnungsbild wunderschön wiedergibt: Hoffnung ist die Fähigkeit, die Musik der Zukunft zu hören. Glaube ist der Mut, in der Gegenwart danach zu tanzen.

Ich kann sie hören, in diesem Lied, die Musik der Zukunft. Bei jedem klingt sie ein bisschen anders: das kann der gemeinsame Choral sein, es kann die Sängerin auf der Familienfeier sein oder die Lieblingsband beim Livekonzert. Es kann der Klang von schepperndem Geschirr beim Polterabend sein oder der Ton der Klingel, wenn Freunde zu Besuch kommen. Es kann die Hintergrundmusik beim Restaurantbesuch sein oder das Lachen der Enkelkinder. Musik der Zukunft – Musik der Hoffnung.

Glaube wäre der Mut, schon jetzt zu dieser Musik zu tanzen. Ich weiß, wie schwer das fällt. Ich weiß, dass die Nerven am Ende sind und der Geist müde ist. Ich weiß, dass viele in dem Gefühl festhängen, es geht nicht vorwärts. Ich weiß, wie schwer es ist, jeden Tag neue Kraft zu finden.

Aber ich weiß auch, welche Kraft der Glaube und das Singen haben. Ein Lied in mir muss nach außen. Und Gottes Lob muss in die Welt. Jesus sagt es so: wenn meine Jüngerinnen und Jünger schweigen, dann werden die Steine schreien. So steht es bei Lukas im 19. Kapitel. Lassen Sie uns das Loben und Singen also nicht den Steinen überlassen.

Singen Sie! Vielleicht erst leise und verzagt, alleine, später auch kräftiger, im Auto, beim Duschen, beim Putzen, auf dem Weg, im Alltag.

Der Sonntag fordert uns auf, alles, was uns bewegt, in die Musik zu legen: Das Schwere, die Wut, die Angst, aber auch die Freude und Dankbarkeit – über die Schönheit der Schöpfung, die gerade wieder erblüht, über die Stimmen der Kinder, über die Sonne, den freundlichen Nachbarn, die nette Kollegin.

Das braucht Mut. Manchmal auch den Mut der Verzweiflung. Aber wenn wir uns darauf einlassen, dann können wir sie schon hören, die Melodie der Zukunft. Amen.

Bleiben Sie behütet!
Herzlich grüßt Sie aus Oberdorfelden, Ihre Pfarrerin Johanna Ruppert