Wie soll ich dich empfangen?
Liebe Gemeinde,
am 1. Advent habe ich den letzten Präsenzgottesdienst gehalten – was für eine lange Zeit! Nun gehen wir bereits auf Ostern zu und kurz sah es so aus, als ob wir wieder gemeinsam feiern könnten. Jetzt heißt es aber doch wieder Warten. Als ich mich auf den Präsenzgottesdienst am Palmsonntag gedanklich vorbereitet habe, ist mir aufgefallen: der 1. Advent und der Palmsonntag erzählen von derselben Geschichte: Jesus zieht in Jerusalem ein. Er kommt an. Und stellt uns vor die Frage:
„Wie soll ich dich empfangen und wie begegne ich dir?“
Diese Frage haben sich vor ca. 2000 Jahren die Menschen in Jerusalem gestellt. Es hatte sich herumgesprochen, dass Jesus in ihre Stadt kommt. Jesus, der Wunder vollbringt und Tote lebendig macht.
Wie sie Jesus empfangen haben, wird im Johannesevangelium beschrieben:
12 Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem kommen werde,
13 nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und schrien: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!
14 Jesus aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, wie geschrieben steht:
15 »Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.«
16 Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so an ihm getan hatte.
17 Die Menge aber, die bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, bezeugte die Tat.
18 Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan. 19 Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.
Die Menschen haben Jesus so empfangen, wie es damals der Brauch für einen König war. Jesus wurde beim Einzug in Jerusalem jubelnd mit Hosianna-Rufen und mit schwingenden Palmenzweigen begrüßt. Die Menschen feierten ihn. Sie bereiteten ihrem König einen würdigen Einzug.
Jesus wird zwar wie ein König empfangen, doch er verhält sich nicht wie ein König.
Er triumphiert nicht, sondern schweigt. Er LÄUFT nach Jerusalem, entdeckt den Esel eher zufällig. Und überhaupt: ein Esel – kein hohes Ross. Kleiner, schwächer, argloser. Wenn wir auf der Suche nach Jesus, nach Gott sind, hilft es nach einem Esel Ausschau zu halten. Nicht nach dem hohen Ross, nach dem kleinen, schwachen – in uns und um uns.
Jesus zieht in Jerusalem ein und bleibt dort nicht lange, nur wenige Tage. Wir wissen, was in dieser kurzen Zeitspanne geschieht. Wenige Tage später sind die Palmenzweige vergessen, etwas Festliches nicht mehr zu erkennen. Auf den Jubelruf „Hosianna!“ folgt der verächtliche Schrei „Kreuziget ihn!“
Ein königlicher Purpurmantel wird ihm zum Spott angelegt, als Krone wird ihm eine Dornenkrone aufgesetzt. Böse Seiten der Menschen treffen auf Jesus. Seine Botschaft wird abgelehnt und es wird versucht, ihn aus der Welt zu schaffen, Gott aus der Welt zu schaffen, ihn aus dem Leben zu vertreiben.
Und dann geschieht das wunderbare „Am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur rechten Gottes“…
Er erscheint den Jüngern. Am See Genezareth oder auf dem Weg nach Emmaus.
Und auch wir rechnen mit seiner Gegenwart – in unseren Gottesdiensten, beim Abendmahl, in unseren Gebeten – Ja, aber was wäre, wenn sich herumsprechen würde, dass der Auferstandene vor den Toren unseres Ortes steht? Wie würden wir ihn empfangen?
Wo würden wir ihn denn erwarten? In der Kirche? Bei uns zu Hause? Oder vielleicht doch auf dem Friedhof bei unseren Verstorbenen? Oder bei den Ausgegrenzten, Kranken und Armen? Dort, wo nur wenige hingehen?
Und was würden wir tun? Es den Nachbarn erzählen? Ein großes Fest feiern? Ihm entgegenlaufen? Oder wie Zachäus auf einen Baum klettern, so dass er uns sieht?
Oder würden wir es still aufnehmen?
Wir können Weltmeister weltmeisterlich empfangen, Staatsgäste in Berlin mit militärischen Ehren, die Wohnung oder das Haus schön machen, wenn sich Familienbesuch ankündigt, aber wenn Jesus sich als Besuch ankündigt, geraten unsere gewohnten Gepflogenheiten für Gäste ins Schwimmen.
„Schön, dass Sie da sind!“ „Kommen Sie doch rein!“ „Nehmen Sie bitte Platz. Klar, die Schuhe können Sie anlassen.“
Das passt alles nicht bei Jesus! Wahrscheinlich wäre das auch alles nicht nötig.
Er kennt uns ja und weiß, wie wir sind und außerdem zieht er ja eh meistens schweigend ein.
Wie würden wir Jesus empfangen?
Wie wäre es, wenn er zu uns direkt ins Haus käme – sagen wir – zum Mittagessen?
Er tritt ein, betritt das Esszimmer, schweigend, sieht sich ein wenig um und nimmt am Tisch Platz. Es gibt ja die alte Tradition, Jesus einen Platz am Essenstisch freizuhalten. Auf genauso einen Platz setzt er sich. Er isst und trinkt, kein Wunder: Er mag ja das gemeinsame Essen.
Und dann wäre Raum für das, was uns am Herzen liegt. Da bin ich mir ganz sicher.
Für unsere Fragen:
Wie ist es im Himmel?
Was passiert, wenn wir sterben?
Warum gibt es so viel Leiden auf der Welt?
Warum passiert guten Menschen Böses?
Warum sterben Menschen oft so früh?
Und wo sind sie, wenn sie gestorben sind?
Warum haben die einen so viel und andere so wenig?
Wie wird mein Leben weitergehen?
Wann werden wir endlich diese schlimme Zeit hinter uns lassen?
Und wie war das eigentlich damals in Jerusalem?
Als Du allein und schweigend in die Stadt gegangen bist?
Was würde Jesus wohl antworten?
Jesus ist Männern, Frauen, Alten und Kindern immer zugewandt und freundlich begegnet. Er hat die Menschen angesehen und ihre Nöte erkannt. Er hat zugehört, geheilt und geholfen.
Die Begegnung mit Jesus hat das Leben der Menschen verändert. Sie konnten sich selbst und ihre Mitmenschen danach in einem anderen Licht sehen.
Er hat gute Worte für die Menschen gefunden, wie zum Beispiel:
Fürchtet Euch nicht!
Ihr seid das Salz der Erde!
Folgt mir nach!
Diese Worte gelten auch uns!
Ich kann mir vorstellen, dass er heute am Mittagstisch uns zuhören würde. Manche Fragen würde er beantworten, manche nicht.
Aber ich glaube, dass die Fragen dann für einen Moment aufhören würden. Da ist jemand, der zuhört, der versteht, der das Leben kennt und mit uns teilt – mit allem, was dazu gehört.
Für einen Moment ist dann das Herz ruhig. Frieden.
Heute ist Palmsonntag. Jesus zieht ein.
Wie sollen wir ihn empfangen? Gerade jetzt, wo wir zum zweiten Mal nicht zusammen sein können. Wie sollen wir ihn empfangen, ohne große Feste, Gottesdienste und das Abendmahl?
Lassen Sie uns ihm einen Platz freihalten, einen Platz in unserem Leben.
Am Mittagstisch vielleicht, oder durch ein Gebet, durch Zeit, die wir anderen Menschen schenken.
Lassen wir ihn ankommen. Amen.
Gott segne dich,
dass du jeden Tag als erfüllte Zeit erlebst:
dass das Leiden von gestern
und die Angst vor morgen
ihre Schrecken verlieren
und die Botschaft vom Heil der Welt
auch in dir Gestalt gewinnt.
Bleiben Sie behütet!
Ihre Pfarrerin
Johanna Ruppert